Fahrmotive

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Ein Motiv ist ein bewusster oder unbewusster Faktor, der in die Aktivierung und Steuerung von Verhaltensweisen eingreift. Menschliches Verkehrsverhalten ist somit nicht nur von Wissen und Fähigkeiten, sondern auch von Motiven bestimmt.


Bedeutung der Fahrmotive

Fahrmotiven wird eine bedeutende Rolle für die Verkehrssicherheit eingeräumt. Beim Autofahren bestimmen oft andere Motive als die des sicheren und regeltreuen Autofahrens den momentanen Fahrstil. Wenn das Fahrmotiv beispielsweise ist, eine Prüfungsfahrt zu bestehen oder seine Familie so sicher wie möglich nach Hause zu bringen wird der Fahrstil anders sein als wenn das Fahrmotiv z. B. die bewusste oder unbewusste suche nach einem Lusterleben beim Schnellfahren, Angeberei oder Aggressionsabbau etc. ist. Die Bedeutung für die Verkehrssicherheit der Fahrmotive wird in der GDE-Matrix (Goals for Driver Education) verdeutlicht, wo sie auf der dritten von vier Stufen dargestellt wird.


Motivstudie

Als jene Studie in der verkehrspsychologischen Literatur, die besonders tief und treffsicher in die Motive der verschiedenen Fahrstile von Menschen vorgedrungen ist, könnte man die Studie von Berger et al. (1973, 1975) heranziehen. Die Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt:

Berger et al. generierten aus systematisch erfassten Daten aufgrund von Feldbeobachtungen und standardisierten Interviews sechs verschiedene

Fahrformen bzw. Fahrwelten (im Sinne von Fahrmotiven):

1. Thrill

2. Kraftentfaltung

3. Erproben

4. Autonomie

5. Gleiten

6. Pilotieren


In den Interviews wurden die Testpersonen beispielsweise ersucht zu beschreiben, was ihnen am Autofahren gefällt. Daraus waren unterschiedliche Erlebnisqualitäten ableitbar. Zur Definition der sechs generierten Fahrformen präzisieren die Autoren, es handle sich bei einer Fahrform nicht um eine charakterologische Disposition im Sinne einer Persönlichkeitseigenschaft. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass jeder Autofahrer den Straßenverkehr in verschiedenen Fahrformen (oder Fahrwelten) wahrnimmt und realisiert. Frei interpretiert könnte man durchaus sagen, eine Fahrwelt beschreibt erstens die jeweilige Wahrnehmung und Bewertung einer Person im Straßenverkehr. Dabei spielen situative Variablen ebenso eine Rolle wie Rückmeldungen und Bedürfnisse aus dem eigenen inneren Milieu. Und zweitens wird der jeweils verhaltensrelevante und somit beobachtbare Fahrstil beschrieben. Denn die Autoren beobachteten, dass der Fahrer, abhängig von der Verkehrslage und der seelischen Verfassung, die entsprechende Fahrform auszugestalten bestrebt war. Das, was sich beim Autofahren gerade psychisch realisieren will, kommt auch im Erleben, also in der (selektiven) Wahrnehmung, des Autofahrers zum Ausdruck. Die Autoren beziehen hier die Dimension des Unbewussten in ihre Studie ein.

Weiters wird argumentiert, dass die unterschiedlichen Fahrformen bei jedem Autofahrer zumindest tendenziell existent sind. Die Realisierung der Fahrform richtet sich aber dann nach der jeweiligen dominanten Tendenz beim Autofahren, welche sich in der speziellen Fahrform realisieren möchte. Nach diesen Realisierungsrichtungen werden die Fahrformen benannt. Wenn allerdings in einer bestimmten Situation eine bestimmte Fahrform realisiert wird, so bedeutet das nicht, dass die anderen Fahrformen nicht mehr existent wären, vielmehr bestehen diese in Keimform weiter. Es handelt sich also nochmals nicht um einzelne Autofahrerpersönlichkeiten. Allerdings wäre es durchaus vorstellbar, jeden Fahrer daraufhin zu gewichten, zu welcher Fahrform er häufiger tendiert.


Ad 1. Thrill

Von besonderem Interesse für unsere Fragestellung ist die Fahrform des „Thrill“. Dabei stehen Angst und Lust gleichzeitig im Mittelpunkt des Erlebens. Autofahren wird als prickelnd, berauschend und auch grenzenlos erlebt. Es wird der Geschwindigkeitsrausch angestrebt. Evident ist, dass dabei hohe Geschwindigkeiten gefahren werden und der Genuss dieser Angst-Lust steigert sich mit zunehmender Geschwindigkeit ebenso wie mit zunehmender Gefährlichkeit. Die Gefahr soll gespürt und überwunden werden. Das Verlieren und Wiedergewinnen von Sicherheit werden in gleicher Stärke intendiert und bilden einen Funktionszusammenhang. Der Autofahrer versucht die Grenzen des Alltags zu überwinden, allerdings auf Kosten eines hohen Risikos. Wenn wir von einem möglichen psychologischen Konstrukt einer Geschwindigkeitsrausches sprechen, dann entspricht dieses am ehesten der Fahrform des Thrill. Gerade bei dieser Fahrform scheint auch am ehesten die von Schopf (1992) angesprochene Problematik angesiedelt zu sein, wonach ein berauschendes Gefühl beim Autofahren in ähnlich gefährlicherweise wie ein Alkoholrausch zur scheinbaren Bewältigung von persönlichen Konflikten verleiten könnte. Ringel (1989) formuliert es ähnlich, wenn er schreibt, Autofahren würde auch dazu missbraucht, dass man vor sich selbst davonfährt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde daher bei den standardisierten Interviews besonders darauf geachtet, ob die Eindrücke Angst-Lust betont, also „kribbeln“, „wie ein Rausch“ etc. bis hin zur reinen Lust, geschildert wurden, oder ob eindeutig Angst alleine im Mittelpunkt des Erlebens stand.


Ad 2. Kraftentfaltung

Bei der Fahrform der Kraftentfaltung steht im Gegensatz zum Thrill das Gefühl im Vordergrund, man will mächtiger, kräftiger und dynamischer als andere Verkehrsteilnehmer sein. Andere überholen, andere von hinten bedrängen, rasches Beschleunigen usw. sind hier häufig beobachtbare Realisierungen. Eine logische Konsequenz ist hier allerdings, dass beim Überholtwerden Gefühle der Schwäche, Minderwertigkeit und Erniedrigung aufkommen und dies zieht dann ein Bedürfnis nach neuerlichen Beweisen der eigenen Stärke nach sich.

Ad 3. Erproben

Auch die Fahrform des Erprobens unterscheidet sich wesentlich vom Thrill: Hier liegt die Befriedigung in der Bewältigung von Schwierigkeiten. Daher werden Situationen aufgesucht, die das Könnermuster ständig neu bestätigen. Sich in Kolonnen durchschlängeln und Lücken ausnützen wäre beispielsweise typisch für diese Fahrform. Es geht also darum, die Grenzen des eigenen Könnens auszuloten, eben zu erproben. Hingegen steht bei der Fahrform des Thrill eindeutig das Bedürfnis nach Grenzüberschreitung im Vordergrund.


Ad 4. Autonomie

Gefühle von Freisein, Unabhängigkeit und Beweglichkeit bilden die Basis für die Fahrform der Autonomie. Diese Qualitätsrichtung kommt nicht nur in Gefühlen des aktuellen Autofahrens zum Ausdruck, sondern zeigt sich auch bei allgemeinen Einstellungen zum Autofahren. Das tiefenpsychologische Pendant wäre wohl der Narzissmus. Demnach könnten hier vermehrt egoistische Verhaltensweisen dominieren, wenngleich auch eine Befriedigung darin zu finden wäre, indem man gönnerhaft und großzügig anderen Verkehrsteilnehmern z.B. die Vorfahrt gestattet. Als besonders unangenehm wird hier vor allem das Fehlen des Autos erlebt, was mit Gefühlen von Lähmung und Amputiert-Sein einhergeht.


Ad 5. Gleiten

Bei der Gleitfahrt liegt der spezifische Genuss darin, dass der eigenen Bewegung keine Widerstände entgegentreten. Es wird ein störungsfreies und komplikationsloses Fortkommen angestrebt. Ruhe, Ausgeglichenheit und Entspannung prägen das Erleben – also ein „Autogenes Training“. Etwaige Gefahren liegen hier vorwiegend darin, dass unter Umständen die Konzentration vom momentanen Verkehrsgeschehen in zu starkem Ausmaß abgezogen wird.


Ad. 6. Pilotieren

Als optimale Fahrform bezeichnen die Autoren das Pilotieren: Dabei handelt es sich um eine stabile, ausgeglichene Fahrform. Kühle Sachlichkeit und emotionale Distanz sind vorherrschend. Ein Genuss wäre hier höchstens in Form einer so genannten „Funktionslust“ zu sehen. Im Vordergrund steht das möglichst reibungslose Funktionieren des Handlings sowie des Verkehrssystems.